Candide No. 5 — 03/2012 — Analyse
Von der lesbaren Form zum erinnerbaren Bild.
Architektonisches Wissen von Wittkower zu Banham.
Mit der Gegenüberstellung der Positionen des Kunsthistorikers Rudolf Wittkower und des Architekturkritikers Reyner Banham markiert Claire Zimmerman einen Wandel innerhalb des Wissensdiskurses zur Architektur in Großbritannien zwischen den frühen 1940er und den späten 1950er Jahren. Wittkowers Vorstellung einer „Lesbarkeit der Form“, entwickelt in den Jahren und in der Folge des Zweiten Weltkriegs, schrieb der Architektur eine ihr innewohnende harmonische Ordnung zu, in der die formale Organisation und die soziale Identität dermaßen miteinander verbunden seien, der Architektur einen Status wahrhaftiger Repräsentation zu verleihen. 1955 schlug Banham dann eine andere Art der architektonischen Wissenskonstitution vor. Er verwarf die „Lesbarkeit der Form“ und favorisierte dagegen die Vorstellung einer „Erinnerbarkeit als Bild“. Der Wahrheitsgehalt nahm dabei ab, dafür aber der Erinnerungswert zu. Banham wies auf diesen Wandel in der Baukultur hin und glaubte, dass der Konnex von sichtbarer Erscheinung und Form mehr und mehr durch erinnerbare Bilder ersetzt werde – durch Bilder, die zwar noch mit verschiedenen Aspekten des Gebäudes verbunden sein konnten, es aber nicht mehr zwingend sein mussten. Banhams Position vorzustellen, indem man diese mit Wittkowers Texten konfrontiert, heißt auch, sich der Postmoderne zu nähern, in der sich die Identität eines Bildes recht eigentlich dadurch konstituiert, dass es eben aussieht, wie es aussieht, und nicht dadurch, dass es meint, was es sagt. Der hier thematisierte Wandel ist dabei eng verbunden mit dem Medium Fotografie, das sich im 20. Jahrhundert in ähnlicher Weise wie die Architektur von der Wiedergabe der Form eines bestimmten Objekts zu lösen beginnt.
Der Beitrag ist begleitet von der deutschen Erstübersetzung von Banhams Essay “The New Brutalism” von 1955.