Candide No. 7 — 10/2013 — Editorial
Zur Krise des Großwohnungsbaus in den 1970er-Jahren
Der lange diskreditierte Großwohnungsbau erscheint gegenwärtig in neuem Licht. Der akute Mangel an bezahlbarem Wohnraum in europäischen und US-amerikanischen Metropolen verändert nicht nur den Blick auf abseits lie-gende Satellitenstädte und innerstädtische Sanierungsgebiete. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Quantität und architektonische Qualität als gleichzei-tige städtebauliche Ziele diskutierbar sind, ermöglicht auch, den konzeptionellen und gestalterischen Anspruch der Großwohnungsbauten der Nachkriegszeit wieder zu entdecken. Vor allem Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre entstanden in den Spielräumen sozialstaatlichen Engagements so unterschiedliche experimentelle Typologien wie die gezackten Labyrinthe von Jean Renaudie, die Laubengänge von Aldo Rossi oder die Blockfragmente von Richard Meier. Wie wurde aus dem fortschrittlichen Projekt der Nachkriegszeit und den Experimenten um 1970 das bis heute prägende Bild der einstürzenden Wohnblocks von Pruitt Igoe? …
Die fünf Beiträge dieser Ausgabe von Candide untersuchen die Auswirkung der Krise des Großwohnungsbaus auf Theorie und Praxis der Architektur. In der Aufarbeitung spezifischer historischer Episoden fördern sie Fragen zutage, die heute ebenso ungelöst sind wie vor vierzig Jahren. Zum Beispiel, ob und wie die Skaleneffekte der industriellen Produktion im Massenwohnungsbau zugleich städtebauliche Qualitäten bilden und ob der Großwohnungsbau Produkt eines ausbalancierten Kräfteverhältnisses von privatwirtschaftlichen Interessen und staatlicher Steuerung sein könnte. …
Eine einheitliche Sicht auf diese Umbruchzeit kann und soll aus diesen Beiträgen nicht entstehen. Die Ausgabe soll der Anstoß sein, eine Diskussion in Gang zu setzen: über die Frage des groß gedachten, bezahlbaren Wohnungsbaus als architektonische Aufgabe.