Wohnen als diskursive Leerstelle.
Nach dem Debakel um seine Beteiligung an der Berliner Großsiedlung Märkisches Viertel lebt Oswald Mathias Ungers ab 1967 als Hochschullehrer zurückgezogen an der Cornell University. Dort lernt er die Rahmenbedingungen der Wohnungsbau- und Städtebaupraxis in den USA kennen und reflektiert zugleich die veränderten Ansprüche an Architektur angesichts des fortschreitenden Umbaus des Wohlfahrtstaats auf beiden Seiten des Atlantiks. Wie André Bideau in diesem Beitrag zeigt, lässt die „amerikanische“ Recherche Ungers’ späteren Diskurs um die Autonomie der Architektur noch kaum erahnen; der Wohnungsbau bleibt weitaus länger ein zentrales Thema für Ungers als bislang dargestellt. Doch mit der Diskreditierung des Massenwohnungsbaus gewinnt die Ausdifferenzierung der postmodernen Stadtgesellschaft zunehmend an konzeptioneller Relevanz, so auch die „persönliche Initiative der Bürger“, die Ungers mit der Urban Villa zu aktivieren sucht. Den Wendepunkt markieren hier die Berliner Sommerakademien, mit denen sich der Architekt ab 1977 zu repositionieren versucht. Im Licht veränderter sozio-ökonomischer Prämissen entwirft Ungers anhand der Wohnungsfrage eine neue Beziehung zwischen Identität und Urbanität.