Das Grau des Himmels

Bilder sind seit jeher elementarer Bestandteil architektonischen Wissens. Die Prozesse des Entwerfens, aber auch die Legitimation, Speicherung und Transmission historischer wie theoretischer Informationen basieren auf bestimmten Bildpraktiken. Ebenso wiederkehrend sind, seit Vitruv die ungenaue Begrifflichkeit der scaenographia als essenzi­elle Darstellungsart kanonisierte, Diskussionen über die Zulässigkeit perspektivisch-realis­tischer Bilder in der Architekturpraxis. Mit dem Aufkommen digitaler Werkzeuge erreichen die Visualisierungen von geplanter Architektur nicht nur einen nie dagewesenen Realismus, sondern erweitern zudem die Möglichkeiten der Manipulation und führen zu neuen ästhe­tischen Ausdrucksweisen. Auch im Hinblick auf das seit geraumer Zeit existierende wissen­schaftliche Interesse an Eigenlogik und Funktionsweise der Bilder (iconic turn), geben diese Werkzeuge und die durch sie entstehende digitale Ästhetik Anlass, die neue architektonische Bildlichkeit zu befragen.

Stichwortgeber Hermann Czech

Stichwörter mobilisieren. Sie bringen Diskussionen in Gang und Gemüter in Wallung. Stichwörter liefern keine hieb- und stichfesten Definitionen. Dort, wo sie auftauchen, entsteht Klärungsbedarf. Im Rahmen einer Ver­anstaltungsreihe des Lehr- und Forschungsgebiets Architekturtheorie der RWTH-Aachen übernahm der Wiener Architekt Hermann Czech die Rolle des „Stichwortgebers“. Czech gehört zu den wichtigsten Architekturtheoretikern unserer Zeit. Schreibend und bauend umkreist er seit Mitte der 1960er-Jahre den Möglichkeitsraum der Architektur. In seinem Aachener Vortrag erläuterte Czech die konkreten Verhältnisse von Begriffen und Bauten in seinem eigenen Werk. Czechs Vortrag wurde zur Grundlage für weitere Einladungen. In drei Folgeveranstaltungen griffen Ernst Hubeli, Ullrich Schwarz, Urs Füssler, Jörg Leeser, Wilfried Kuehn und Marcel Meili die czechschen Stichworte auf, um diese weiterzuentwickeln und zu verwandeln. Ein Bericht.

Zürich, 1971.

Die Hochschulintrige um die Berufung Aldo Rossis und die Mediendebatte um Jörn Janssens experimentelles Seminar sind nicht nur eine entscheidende Episode für die Weichenstellung der Hochschulpolitik an der ETH Zürich zu Beginn der 1970er-Jahre. Der Eklat steht auch für einen Leitbildwandel der europäischen Architekturdebatte vom Gesellschafts- zum Kulturprojekt. Im Laufe dieses Paradigmenwechsels zielte die Hochschulleitung darauf ab, die Kernkompetenz der architektonischen Disziplin wieder auf den Entwurf zu konzentrieren und – mittels entsprechender Deutungen von Aldo Rossis Autonomiebegriff – die gesellschaftliche Relevanz des architektonischen Projekts explizit von politischen Fragen zu lösen. Vierzig Jahre später trafen sich zwei der damaligen Protagonisten zu einem Gespräch in Paris. Jörn Janssen und Bruno Reichlin, damals Assistent von Aldo Rossi, diskutierten über die Hintergründe des Eklats, erinnerten sich an die Reformerwartungen, den Realismus und die Desillusion der post-1968er-Zeit und erläuterten die politische Motivation und theoretische Grundlage ihres damaligen Handelns. Das Gespräch zeigt die Berührungspunkte zwischen den gemeinhin als unvereinbar geltenden Haltungen von empirischer Gesellschaftskritik und architektonischer Autonomie.

Im Garten der Zeit.

Ausgehend von Fragen der japanischen Kunsttheorie und Ästhetik, insbesondere der Zeitwahrnehmung und des Alterns von Artefakten, bezieht sich das Gespräch zwischen der Architektin Murielle Hladik und dem Künstlerpaar Anne und Patrick Poirier auf die Figur der Ruine im Kontext der Gegenwartskunst. Aufbau, Zerstörung und Wiederaufbau; Ereignis und Geschichte;  Erinnerung und Vergessen; Natur und Artefakt; sind Begriffspaare, die zu bedenken uns die Kunst wie auch die Architektur zur Aufgabe macht. Entlang dieser Begriffe entwickelt sich ein Gespräch über die Intimität persönlicher Eindrücke und deren Konsequenzen; über materielle Substanz und die Zerbrechlichkeit der Formen. Das Gespräch fand am 18. Oktober 2011 in Paris statt.

Berührungslinie 1: Maillart Serra.

Der Autor eröffnet seine kritische Archäologie der Ideologie der Nachkriegsavantgarde mit einem ersten Schnitt am Standort von Bildhauer Richard Serras „Erweiterung“ eines Schweizer Eisenbahnviadukts aus dem 19. Jahrhundert, der in den 1920er Jahren von Bauingenieur und Brückenbauer Robert Maillart modifiziert wurde. Im Gegensatz zum vorherrschenden orthodoxen Ansatz, der Serras Skulpturen „phänomenologisch“ liest, als radikal abstrakte Interventionen in den Wahrnehmungsraum des physisch anwesenden Betrachters, wird Maillart Extended hier als ein „allegorisches“ Werk interpretiert – oder als ein dialektisches Bild, das die radikale Unvereinbarkeit zweier gegensätzlicher ideologischer, ästhetischer und materieller Paradigmen verkörpert.

Der Blumenladen in Oberbarmen.

Anlässlich einer Vertretungsprofessur am Lehrstuhl für Bauen im Bestand an der Bergischen Universität Wuppertal führte Jörg Leeser zusammen mit Urs Füssler im Wintersemester 2008/2009 das Entwurfsprojekt „Dramatyp“ und das Seminar „Findlinge“ durch. Im Gespräch mit Candide erläutern Leeser und Füssler ihren Lehransatz, in dem die bestehende Architektur der Stadt Wuppertal das Ausgangsmaterial für ein „Weiterstricken“ und „Ummodeln“ der Stadt bietet. Zentrale Frage dabei ist: Wie kann der Entwurf einzelner Gebäude die Wahrnehmung der Stadt als Ganzes mitprägen? Studierende aus den Bachelor- und Masterstudiengängen entwarfen Bauten aufgrund selbstentwickelter Nutzungsszenarien für eine post-industrielle, schrumpfende Stadt. Der Beitrag dokumentiert eine Auswahl dieser Arbeiten.

 

Wissen als Programm.

Arnold Walz und Axel Kilian erörtern die Rolle des digitalen Rechners und Programmierens in ihrer Arbeit als Architekten. Walz reflektiert den Einfluss seines Lehrers, Planungstheoretiker Horst Rittel, auf seinen Ansatz in der Konstruktion parametrischer Modelle zur Lösung komplexer Gebäudegeometrien. Kilian beschreibt sein Konzept der Entwurfsexploration als Methode, die relevanten Zwänge im Formfindungsprozess zu veranschaulichen. Beide sind sich einig, dass das Wissen, das seit den 1990er Jahren in der Ausführung komplexer Gebäudegeometrien erlangt wurde, nun auf die Architektur im Ganzen angewendet werden muss.

Der heilige Georg und der Drache, oder: Der Stadtplaner als Geschichtenerzähler.

Manfredo Tafuri schreibt am Ende der zweiten Auflage seiner Storia dell’architettura italiana, dass bei der Suche nach einem Ausweg aus der endemischen Krise der modernen Architektur in den 1980er Jahren „einem Buch entscheidende Bedeutung zukommt“: Il racconto urbanistico. Die Veröffentlichung dieses Werks des italienischen Stadtplaners 2 Bernardo Secchi im Jahr 1984 ist ein außergewöhnliches Ereignis in der neueren europäischen Architektur – ein Ereignis, das noch nicht angemessen gewürdigt beziehungsweise analysiert worden ist. Matteo D’Ambros und Roberto Zancan trafen sich mit dem Autor, um über Aspekte rund um die Veröffentlichung des Buches zu sprechen. In einer Welt mit kurzem Gedächtnis verspricht die erneute Betrachtung des Beitrags der Literaturwissenschaften zum Verständnis von Architektur und Stadt, neues Licht auf das berufliche Selbstverständnis zu werfen.

„Wieso haben wir ein Fenster in unserer Wand?“

Im Lauf der postkolonialen Entwicklung Mosambiks hat sich die Schere zwischen dem für ein funktionierendes modernes Staats- und Gesellschaftswesen nötigen allgemeinen und technischen Wissen weit geöffnet. Dies beeinflusst nicht nur die Gesellschaft als Ganzes, sondern auch die Anwendbarkeit von spezifischem Fachwissen – wie dem Wissen der Architektur. Da die Arbeitsmittel von Architekten im Hinblick auf das Management von Ressourcen nicht den lokalen kulturellen, bei der Raumorganisation greifenden Verhaltensmustern entsprechen, müssen sich Architekten mit Prozessen befassen, die scheinbar im Widerspruch zu den Grundlagen ihres Berufs stehen. Am Beispiel der vernakulären, postkolonialen Architektur Mosambiks beschäftigt sich der Autor mit einem gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, bei dem sich formelle und informelle Produktionsweisen gegenseitig beeinflussen. Daraus ergibt sich nicht nur eine Fülle unterschiedlicher formaler Lösungen, sondern auch eine Form der Wissensherstellung, die zu einer neu gestalteten Annäherung zwischen Allgemeinwissen und Fachwissen führt.